Dr. h.c. Siegfried Schiele , 22.03.2012
200 x 100 x 6 cm (h x w x d)

Ganz großgeschrieben: „Nie wieder“ – das ist ein Satz, der mich seit meiner Jugendzeit begleitet hat. Mein Vater war in Kriegsgefangenschaft. Ich habe ihn erst im Alter von 10 Jahren bewusst wahrgenommen. Im Hinterkopf habe ich noch die Erinnerungen, die sehr schmerzlich waren, und die Nachkriegszeit, die schwer zu überstehen war, vor allem für meine alleinstehende Mutter. Beschwert hat mich, dass mir mit der beginnenden Pubertät klar wurde: Das ist doch unmöglich, dass so etwas geschehen konnte, und ich bin doch auch ein Deutscher! Ich habe meine Mutter und meinen Vater gefragt. Mein Vater wollte nicht viel über den Krieg sprechen. Deshalb war vor allem meine Mutter meine Gesprächspartnerin.
Ich war glückselig, als ich mit 16 Jahren einen jungen Lehrer bekam. Der stand vollkommen auf der Grundlage unserer neuen Demokratie. Er hat kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, das verbrecherische Regime zu kennzeichnen, zu sagen, was wirklich los war, was dazu geführt hat, und wie die historischen Zusammenhänge waren. Endlich konnte ich die Fragen, die ich hatte mit Hilfe dieses Lehrers einordnen. Das war für mich sehr wichtig. Dass ich später Geschichte, Politikwissenschaft und Latein studiert habe, hängt mit den Fragen zum Nationalsozialismus zusammen, die mich gequält haben, aber auch mit diesem Lehrer, der mir die Augen geöffnet hat. Mit 16, 17 Jahren bin ich in die Junge Union eingetreten. Ich hatte das Gefühl, das „nie wieder“ steht bei allen auf der Stirn oder im Herzen. In unseren Gesprächen und Diskussionen hat die Wiederbewaffnung schon eine Rolle gespielt. Uns jungen Leuten hat eingeleuchtet, dass eine Demokratie geschützt werden muss. Mein Vater wäre stärker gegen die Wiederbewaffnung gewesen.
In meiner Jugendzeit hat Freundschaft eine riesige Rolle gespielt. Einen Großteil meiner Schulzeit habe ich im Internat verbracht. Wenn man „interniert“ ist, rückt man auch nahe zusammen. Dann haben wir aber festgestellt, dass es Mädchen gibt – das durften wir offiziell nicht feststellen. Aber es gab eine Mädchenklasse. Die Mädchen haben ihre Spiegel auf die Fenstersimse gelegt. Wir haben runtergeschaut, und ich hatte das Gefühl, dass mich eine ein bisschen anlächelte. Ich habe ihr einen Brief geschrieben und in ihren Anorak gesteckt: „Liebe Ursula, schenk mir dein Herz und dein Ja.“ Am nächsten Tag war bei mir etwas im Anorak. Wir sind spazieren gelaufen durch die Rottenburger Auen. Ich wäre in hohem Bogen aus dem Internat geflogen, wäre das entdeckt worden.
Interview und Textfassung: Miriam Kumpf

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