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Zum Begriff Heimat habe ich eher eine kritische Einstellung. Ich bin in einer Kleinstadt im Hochschwarzwald aufgewachsen, eingeengt zwischen den Bergen, wo jeder jeden gekannt hat. Mein Vater hatte ein Autohaus, meine Lehrer gingen also bei uns ein und aus. Das Hauptgefühl, das ich während dieser Zeit hatte, war das der Enge. Meine Eltern und meine Geschwister waren eher handwerklich begabt. Meine Lust an Büchern wurde nicht immer gerne gesehen.
Ich hatte allerdings eine Großmutter, so eine richtige, mit grauem Knoten, die uns unermüdlich und stundenlang vorgelesen hat, sie hatte einfach immer Zeit für mich und meine zwei Geschwister. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Dennoch waren meine Eltern erstaunlicherweise immer sehr stolz darauf, dass ich einen höheren Bildungsabschluss erreichen wollte.
Es gab viele Gleichaltrige, die ähnlich wie ich raus wollten aus diesen oberspießigen Verhältnissen. Ein Freund von mir hatte zum Beispiel immer einen schwarzen Mantel an, der wurde sehr kritisch beäugt. Auch ich habe mich manchmal mit Absicht unpassend angezogen, ich habe gerne einen alten Pulli meiner Mutter getragen, der mir viel zu groß war. Am wichtigsten war mir aber eine gute Freundin. Mit ihr konnte ich mich über die Bücher, die wir lasen, unterhalten oder über den Sinn des Lebens. Meine Eltern mochten sie nicht, weil sie ein „muffliges Gesicht“ hatte. Gerade in meiner Klasse gab es viele politisch engagierte Leute. Wir haben oft Unterschriften gesammelt, wenn uns etwas nicht gepasst hat. „Das sind so Linke“, wurde dann immer gesagt, obwohl politisch sein für uns eigentlich nur bedeutete, dem gegenüber wach zu sein, was auf der Welt passierte. Aber im Schwarzwald hatte man eben ein sehr enges Politikverständnis, da war man entweder lieb oder links.
Interview und Textfassung: Lisa Schmidt